DAV Gruppe in Klettersteigen im Oetztal unterwegs

Klettersteigkurs plus

Klettersteiggehen gehört inzwischen zu den Trendsportarten. Das Gehen und Steigen am Fels hat seinen Reiz, ist ohne viele Vorkenntnisse und ohne aufwändiges Equipment möglich und die beiden Karabiner am Set versprechen (vermeintliche) Sicherheit. Wozu dann einen Kurs machen? Diese Frage stellte sich für mich nicht, war ich doch schon letztes Jahr dabei und nun will ich in weiteren Tagen vertiefen, welche Hilfsmittel und Knotentechniken eingesetzt werden können, um möglichst sturz- und verletzungsfrei unterwegs sein zu können.

Und wofür steht das „plus“? Tja, das „plus“ gibt es, wenn acht unternehmungsfreudige, bergbegeisterte, stets hungrige, spielwütige und geschichtenerzählende DAV’ler gen Oetztal losziehen mit dem Wunsch, Spaß, Sport und Erholung gleichermaßen zu haben. Wir starten mit mäßigen Wetterprognosen an den Tegelberg und müssen sogleich die erste Ernüchterung einstecken: der Klettersteig ist aufgrund von Winterschäden gesperrt. Also zieht die Karawane weiter ins Inntal zur Geierwand. Mit der Aufgabe, aneinander vorbei zu klettern, steigen wir ein und verzichten mit Blick Richtung Himmel auf weitere Übungen.  Der Lärm der Autobahn begleitet uns, während wir das Gamsband queren. An der Löwenbank baumeln noch Ostereier im Wind – letztes Jahr waren es die Christbaumkugeln – und die Ansage von Klaus, zügig weiter  zu klettern, wird 1:1 umgesetzt. Tritte suchen, Griffe finden, umklippen; zack, zack, passieren wir die Seilbrücke sowie das obere Gamsband. Nach einem kurzen Vesper beim Ende des Stahlseils und der inzwischen bekannten Schweizer Gipfelschokolade von Tommy, beginnen wir den Abstieg über weichen Waldboden, der jeder unserer Schritte zu schlucken scheint. Später bindet leichter Nieselregen den inzwischen staubigen Weg und unten rauscht ein wilder und dreckiger Inn neben unseren parkenden Autos. Die Stimmung ist gut und sie wird noch besser, als wir kurze Zeit später den M-Preis betreten und uns von den 1+1 Angeboten einwickeln lassen. Mit Blick auf unseren Einkaufswagen könnte man nicht meinen, dass wir Essen für mindestens eine Woche im Kofferraum haben. Aber wer schafft, muss auch ordentlich essen und trinken, das scheint die Devise für die nächsten Tage zu werden. Andrea und Jürgen, unsere Newcomer, müssen sich am Abend noch manche Story anhören und die Warteschleifen vor Dusche und WC sowie – im wahrsten Sinnes des Wortes - brandheißes Wasser sind Anlass für manchen Schwatz. Bevor jeder ins Bett fällt, vereinbaren wir, am nächsten Morgen auszuschlafen, denn Regen pur und einstellige Temperaturen sind angesagt.

Und genau das begegnet mir beim ersten Augenöffnen: Schnee fast bis ins Tal und Wolken, die alles einhüllen. Was gibt es da Besseres als ein ausgiebiges Frühstück! Mit Blick nach draußen steht schnell fest, dass Klettersteiggehen heute nicht erste Priorität hat. So machen wir in warmen Jacken den überdachten Balkon unsicher, indem wir Seile mit sämtlichen Knoten an Pfosten und Geländer binden und im Trockenen üben, was wir gerne real machen würden, aber eben nicht im Nassen. Und, wer kann noch blind einen doppelt geschleiften Achter? Wir üben und probieren, bis wir mehr Knoten im Kopf haben als im Seil und unsere Füße kalt sind. Nach dieser Anstrengung folgen wir unserer Devise „Essen ist immer gut“. Aus der kleinen Brotzeit wird eine große, zu dem Tässchen Kaffee kommt noch der Kuchen dazu und aus dem Mittagsplausch wird ein ausgiebiges Gespräch. Fehlt nur noch der Mittagschlaf. Aber daraus wird nichts, denn trotz Regen wollen wir los - wir sind ja schließlich nicht zum Rumhängen hier! Am Parkplatz beim Piburger See öffnet der Himmel gerade all seine Schleusen und trotz Regenkleidung und Schirm will keiner aussteigen. Als einer den Anfang macht, wagen es auch die anderen.  Im Wald fangen unsere Sinne an zu arbeiten. Es duftet nach Moos und Feuchtigkeit, eine Vielzahl von Grüntönen schmeichelt unseren Augen und die überwachsenen Felsen und Steine regen unsere Phantasie an. Hier könnten sich Gnome und Waldzwerge bestens versteckt halten und uns Wanderer von Ritzen, Spalten und Höhlen aus kritisch beäugen. Der See liegt eingebettet in Hügel und lässt erahnen, wie viele Besucher an schönen Tagen hier Erholung und Badespaß suchen. Über kleine Pfade geht es bergauf, bis wir vor einer angekündigten Kluft stehen. Ein tiefer Spalt durchzieht den Fels. Ein Naturschauplatz, der auch Raum für Scherze lässt. Wäre hier nicht der ideale Platz für eine Abseilübung? Oder wer entdeckt als erstes das Skelett? Gemütlich und inzwischen ohne Schirm geht’s hinunter nach Oetz, wo sich eine Eisdiele über unseren Besuch freut. Alle haben Mühe, einer Riesenkugel Herr zu werden, nur Marita schaut verdutzt. Eigentlich hatte sie zwei Kugeln geordert, aber mit Blick auf die Waffeln der anderen, die nach ihr bestellt haben, muss sie leider feststellen, dass sie das kleinste Eis bekommen hat. Wie geht das denn?

In der Ferienwohnung ist es kühl. Aber auch da hilft unsere Devise, denn Kochen und Essen machen warm. Klaus und Andrea bringen plötzlich eine Prüfung ins Spiel, von der bis dahin keine Rede war. Und so bindet die andere Andrea um sämtliche Gläser auf dem Tisch ihre Knoten. Einen Halbmastwurf um das Weinglas, einen Mastwurf um das Wasserglas, einen …. . Wir debattieren, wie oft ein Knoten wiederholt werden muss, bis er im Rückenmark gespeichert wird. Die Spanne reicht von einundzwanzig bis einundzwanzigtausend. Das ist ja nur ein kleiner Unterschied oder etwa nicht? Sandra googelt nebenbei und findet Bilder vom Timmelsjoch, das noch immer gesperrt ist. Es ist tiefster Winter dort und die Schneefräsen graben sich durch meterhohen Schnee wie ein Maulwurf durch die Erde. Am Wochenende soll es öffnen. Viel Spaß den Motorradfahrern – das Sightseeing wird zu einer Tunnelfahrt, halt ohne Dach. Wir überlegen, ob wir eine Rodelpartie wagen sollen, verwerfen diese Idee aber mit Blick auf unsere Sommerreifen wieder.

Der nächste Morgen ist wolkenverhangen, der Schnee blitzt aus den Mulden, alles ist grau in grau. Klaus peppt uns mit einem leckeren Müsli auf und der Eierkocher tut seinen Dienst. “Weich gekocht, wachsweich oder hart gekocht“, ist der einzige Kommentar, der diesbezüglich gegeben werden darf. Nur nicht einmischen, wenn Klaus am Werk ist. Immer wieder schweift unser Blick aus dem Fenster, verbunden mit der Hoffnung, doch noch losziehen zu können. Ein Besuch im nahen Innsbruck reizt zu wenig, sind wir doch zum Klettersteiggehen hier. Also baut Klaus eine weitere Theoriestunde ein mit der Überschrift „Physikalische Kräfte beim Klettersteiggehen und deren Gefahren“.  Je mehr wir hören und sehen, desto länger werden unsere Gesichter. Ui, ui, ui, was da alles passieren kann! Unser Bewusstsein würde  gerne das Unangenehme ausblenden und hauptsächlich den Spaß in den Vordergrund stellen. Aber Klaus sieht es als seine Aufgabe, den Bergsport von allen Seiten zu beleuchten. Und eigentlich wollen wir das ja auch, sonst hätten wir uns nicht zum Kurs angemeldet. Aber wir sind ja beim „Kurs Plus“ und bald darauf lässt die wieder gefundene gute Laune unsere Gesichter wieder normal werden. Sie verziehen sich sogar zu einem Grinsen, als der Regen nachlässt und wir zügig nach Längenfeld aufbrechen. Obwohl uns der Wind kühl um die Ohren bläst und der Fels und die Tritte nass sind, genießen wir das Draußen-sein. Diesmal lautet die Aufgabe, die Kräfte einzuteilen und nur so fest am Seil zu halten, wie notwendig. Selbst an der E-Stelle halten wir uns an diese Vorgabe und jeder meistert den Überhang. Das ist Futter für unser „Plus“, das verbindet, das schweißt zusammen, das macht Freude. Tommy und Jürgen setzen noch eins drauf und queren die lange Seilbrücke über den Wasserfall. Selbst die Gefahr von patschnassen Füßen und Hosen kann sie nicht davon abhalten. Das anschließende Gefühl, sich auch dieser Herausforderung gestellt zu haben, ist für die beiden Entlohnung genug. Und so starten wir mit bester Stimmung in den letzten Abend. Andrea und Jürgen werkeln in der Küche, während die anderen sich in „Quirkel“ messen. Nach dem Nachtisch kommt noch eine Würfelrunde mit allen dazu und der Sieger erhält… .? Nein, wenn man so voll gegessen ist, erhält der Sieger keinen Preis, sondern wird dazu verdonnert, die Reste zu essen. Doch Jürgen streikt und verspricht, sie am nächsten Morgen in den Rucksack zu packen.

Gesagt, getan! Der nächste Morgen lockt uns früh aus den Federn und bevor die erste Touristenwelle kommt, wollen wir den Klettersteig am Stuibenwasserfall gehen. Wir wundern uns über die vielen Tritte und Stahlstifte, bewundern aber auch das Rauschen und Donnern, das Spritzen und Sprühen des Wasserfalls, dem wir sehr nahe kommen und den wir an einem Felsentor sogar überqueren. Das sind Erlebnisse, die sich einbrennen, die einem niemand mehr nehmen kann. Eindrücke, die füllen und zufrieden, aber auch dankbar und demütig machen. Wir sind nicht größer als der kleinste Wassertropfen in dieser tosenden Gischt und trotzdem ist es uns gegönnt, diese Schönheit und diese Kraft der Natur zu erleben. Beim Abstieg gesellt sich zu dieser Be-Wunderung wieder das Wundern und Kopfschütteln hinzu - angesichts einer aufwändigen touristischen Stahlkonstruktion, die die Besucher ganz nah an den Wasserfall heran und hinauf führt. Gut, dass wir am Parklatz unserer Devise „Essen ist immer gut“ folgen können. Gerade als wir nach Nassereith losfahren wollen, springt Andrea aus dem Auto und springt einer junger Frau nach, um sie darauf hinzuweisen, dass sie beim Gurt vorne und hinten verwechselt hat. Soviel noch zu den Themen „Wundern“ und „Physikalische Kräfte“.

Der Klettersteig „Leite“ in Nassereith ist das Highlight unseres Kurses, gibt es doch kein Stahl im Steig außer dem Seil und dessen Befestigung. Aber auch hier siegt an der Stelle des Notausstiegs das „Plus“ und alle entscheiden, gemeinsam weiter zu gehen. An einer kurzen senkrechten Felswand übt Jürgen das Nachsichern. Sandra mimt, dass sie Hilfe braucht und Jürgen nimmt sie ans Seil. Als er spürt, wie einfach diese Übung mit den richtigen Handgriffen und Knoten ist, freut er sich wie ein kleines Kind, lacht und grinst, und alle anderen mit ihm. Eine Seilbrücke kündigt das Ende des Steiges an und Klaus löst sein letztes Versprechen ein, nämlich eine Abseilübung. Jürgen ist heiß; auch das will er noch ausprobieren, und Andrea tut es ihm nach. Die anfängliche Unsicherheit und die etwas zittrigen Bein verwandeln sich mit jedem Meter abwärts und von unten ist dann nur noch ein „Ist das geil!“ zu hören.  Jetzt braucht es nur noch Kaffee und Kuchen, um unserem Kurs ein würdiges Ende zu geben.

Ein würdiges Ende meines Berichtes ist, Klaus für sein Engagement, für seine Führungsqualitäten und für seine unermüdliche Energie zu danken. Aber auch der ganzen Gruppe gehört ein herzliches Danke. Ohne euch wäre es nur ein normaler Klettersteigkurs gewesen. Und mit euch war es eben ein Klettersteig Plus.

Geschrieben für Marita und Klaus, Sandra, Andrea und Jürgen und Tommy zur Erinnerung an vier eindrucksvolle  Tage.

Herzlich Christine